Auf meiner Reise an die polnische Ostsee in diesem Sommer verbrachte ich einige Tage auf einem Campingplatz mit meinem Campervan. Unweit von Meer, nur ein paar Minuten durch den Wald, findet sich eine wunderbare Mischung aus Jurten, neuen und alten Holzhütten, aufblasbare Zelte, Campingbusse und einige Wohnmobile.
Für die meisten Mitarbeiter des Campingplatzes ist es ein Sommerjob. Sie sahen alle ein bisschen aus als wären sie aus den Siebzigern als dieser Campingplatz gegründet wurde, keiner ist über 30. Nur der Hausmeister und die Reinigungskräfte waren älter. Hinzu war die Vielfalt der Besucher, Kinder mit Familien, junge Backpacker, Aussteiger auf Zwischenstation oder eine ältere Motorrad-Gang, eine gesunde Mischung von allem.
Im hinteren Teil des Platzes verbarg sich eine Feuerstelle, die mit Steinen umrundet war. Dazu standen drei Bänke drumherum, mit Platz für zwölf Personen, so dass keiner auf dem Boden sitzen musste. Ich verbrachte fast jeden Abend dort und unterhielt mich mit fremden Menschen von denen ich viel gelernt habe.
Ich habe mich mit einem Weißrussen unterhalten der vier Kinder hatte und aus politischen Gründen nach Polen ausgewandert ist, nach Warschau. Er hat den Campingplatz genossen, die Ruhe, die Natur. Ich saß mit ihm am Lagerfeuer, nebenbei hielt er sein vier Monate altes Kind und hütete noch seine zwei anderen Kinder am Feuer, ein Multitasking-Phänomen. Wir unterhielten uns über Kaliningrad, er sagte zu mir Königsberg. Er wusste, dass in Berlin ein Berg aus Trümmern des zweiten Weltkrieges gebaut wurde, den Teufelsberg fand er beeindruckend.
Am zweiten Abend unterhielt ich mich mit einem Polen, der getrennt erziehend war, in Irland gelebt hatte und schon in Deutschland gearbeitet hat. Aktuell findet er keinen anständigen, gut bezahlten Job in Polen. Als er in Euro verdient hatte, war sein Geld mehr wert in Polen. Er hat das Gefühl, dass die Lebenshaltungskosten in Deutschland günstiger sind als in Polen. Und er fragte ob ich in Polen Urlaub mache, weil es so günstig ist. Als LKW-Fahrer sprach er sehr gut Englisch.
An einem anderen Abend spielte ein tschechischer Musiker mit Gitarre und sang tschechische Lieder. Er war in einer Band. Mit am Feuer waren seine Freunde, die schon alle zusammen in einer Band waren. Hinzu hat jeder eine eigene Band, quasi ein durchmischtes Musikerkollektiv. Der Gitarrist sprach gut Englisch. Die anderen Musiker, die mitsangen, lasen die Texte von ihrem intelligenten Telefon ab.
Polen ist als einziges Land der Erde verschwunden und wieder auferstanden. Es hat großen Respekt für Raum und Zeit, den Raum des anderen zu respektieren und die Menschen sein zu lassen. Im Moment zu leben ist weit verbreitet. Vielleicht ist Vergänglichkeit unbewusst in der polnischen Seele verankert. Tanzen ist präsenter, wer damit anfängt gewinnt und bekommt immer ein Lächeln. DJ mit über 80 zu sein ist mehr als gewünscht.
Gesprochen hab ich auch mit einem Jobvermittler, der in einem Wohnmobil lebte, welches auf beiden Seiten mit Graffiti besprüht ist. Auf der einen Seite „Love“ und auf der anderen Seite des Schriftzug seiner Firma „Forkers Team“. Er hatte eine elektrische Säge dabei mit dem er das Holz für das Lagerfeuer wunderbar schneiden konnte. Er ist ursprünglich aus dem Riesengebirge. Ans Feuer brachte er eine Shisha. Ich fragte ihn wohin seine nächste Reise geht. Er hat noch keinen Plan, sie wollen nur zu einem Oldtimer Festival nach Stettin im Oktober.
Am gleichen Abend saßen zwei Frauen am Lagerfeuer. Eine davon hatte schon in London gelebt und die andere wohnte in Warschau. Sie wollten Wissen welche Orte ich in Polen am Besten finde. Eine der Frauen war Erzieherin und sprach über Geduld. Sie hatten beide junge Kinder und ließen sie im Dunkeln auf dem Campingplatz alleine spielen.
Ans Lagerfeuer gesellte sich auch ein Männerpaar aus London, die ursprünglich aus Polen stammten. Sie kamen ans Feuer und fragten alle ob wir eine schöne Zeit haben. Im Gespräch erwähnten sie die große polnische Community in England, über 1 Million Polen leben auf der Insel. Viele sind in den Neunzigern dorthin ausgewandert.
Die beiden interessierten sich dafür warum ich so viel in Polen gereist bin. Weil ich in der alten BRD aufgewachsen bin und obwohl Polen genauso unser Nachbarland ist wie Frankreich, war es für mich nie ein Reiseziel. Besserwessis haben zum Polen-Image wesentlich beigetragen, danke geht hier auch an Harald Schmidt. Umso mehr interessierte mich Osteuropa nach dem Fall der Mauer, vor allem in den letzten 10 Jahren.
Wenn es danach gehen würde in welcher Stadt wenige Touristen sind, es dennoch modern, eine lebhafte und pulsierende Stadt ist, Breslau ist mein Favorit. Die Nähe zum Riesengebirge und die damit verbundenen Outdoor-Möglichkeiten. Größe der Stadt, die vielen jungen Menschen, Unis, die Oder – einfach die Vibes. Aber auch die Liebe zum Wiederaufbau der wunderschönen Altstadt. Meinen Kindern würde ich es zum Studieren empfehlen.
Beide erwähnten, dass viele Freunde von ihnen mittlerweile die Lebensqualität mindestens genauso hoch einschätzen wie in England, einige sind zurückgekehrt und bleiben. Sie hören von fast niemanden mehr der auswandern möchte.
Auf dem Rückweg nach Deutschland, an der Grenze in Frankfurt/Oder, stand ich eine halbe Stunde auf der Autobahn und wartete auf meine Einreise. Überall lag rechts und links Plastikmüll. Als würde sich der Ärger über deutsche Grenzkontrollen in Plastik breitmachen.
Vielleicht schickt man den ganzen Plastikmüll einfach nach Bayern, an die persönliche Adresse von Alexander Dobrindt. Daraus lässt sich sicherlich ein Müllberg errichten. Alternativ lassen sich die angehäuften 500 Millionen Mautschulden, die Dobrindt verantwortet, mit dem recycelten Plastik finanzieren.
Polen hadert ebenso mit der globalen Dualität, politisch und kulturell, wie viele Länder, die einen Rollback im Nacken haben.
Ich unterhielt mich mit Stanislav, der in den Neunzigern nach Kanada ausgewandert ist und im Sommer in Polen Urlaub macht. Er vertritt fast alle Talking Points der Neorechten von Migration, Klimawandel bis Rassismus, gepaart mit einer großen Angst für die Zukunft und einem unreflektierten Hass auf die Vielfalt des Seins und Denkens.
Am nächsten Tag traf ich ihn am Strand, an dem Tag als er abreiste. Er fragte mich wie ich es finde, dass Deutschland so ein gemischtes Land geworden ist. Deutschland war schon immer ein Crossroads-Land, in der Mitte Europas, eine offene, dezentrale Kulturnation. Unsere Grenzen haben sich mehrmals verschoben. Flüchtlinge gab es schon immer, aus dem Land und in das Land. Deutschland ist mehr denn je global verbunden und verwoben.
Heute sind Engländer, Franzosen, Polen und Deutsche militärisch stärker verbunden als je zuvor. Wer hätte das nach 1945 gedacht. Putin und Trump unterschätzen die EU. Die beiden gekränkten Männer werden bald Geschichte sein.
Das ist das wunderbare an Europa. Sie ist zu bunt für die Neorechten. Jeder kann in dem anderen Land arbeiten und leben, in nur ein paar Autostunden. Der Brain Drain in den Rollback-Ländern nimmt schon unlängst fahrt auf, wirtschaftlich, politisch und kulturell. Ungarn ist ein Vorbote. Korruption und Angst ist der Virus des Rollbacks. Willkommen im Jahr 2025 gab ich Stanislav mit auf den Weg.
Ich fragte ihn, ob er als Einwanderer nach Kanada weiß, was es heißt, fremd im eigenen Land zu sein? Ich fragte ihn, ob er es gut findet, dass er sich frei bewegen und in andere Länder einreisen kann? Oder dass er arbeiten kann in einem anderen, neuen fremden Land, welches ihn als Pole aufgenommen hat als Wirtschaftsflüchtling? Ist Kanada nicht auch ein gemischtes Land? Würdest du dich als Mischling sehen?
Diesen eklatanten Widerspruch seines Ichs beantwortete er nicht; ich lies es so stehen.