Medienvielfalt ist in Berlin kompliziert, es gibt noch ein paar Zeitungen, die täglich in gedruckter Form erscheinen, doch bei genauerem Blick ist die Anzahl der Eigentümer überschaubar.
Es teilen sich die Funke Mediengruppe, Springer, Holtzbrinck und der Berliner Verlag den Markt auf, dabei sind drei von vier in den Händen von denen, die nicht aus dem Osten stammen. Anders gesagt, es wäre so wenn die SZ und Abendzeitung in München produziert werden, die Eigentümer aber in Leipzig sitzen.
Nicht zu vergessen ist natürlich die taz, die eine besondere Stellung einnimmt und durch die Genossenschaft für immer unabhängig bleibt und die vielfältigste Eigentümerstruktur inne hat. Im weiteren linken Spektrum ist Neues Deutschland, mittlerweile auch eine Genossenschaft, noch zu erwähnen.
Ich habe die BLZ ein paar Jahre beobachtet und verdichte die Entwicklung ein bisschen.
2019 wurde die Berliner Zeitung von Holger Friedrich, einem Software-Unternehmer mit ostdeutscher Biografie, von DuMont gekauft. Bis dahin hatte DuMont die BLZ gelinde gesagt unterentwickelt. Es entstanden Mantelredaktionen und das Produkt wurde austauschbar und irrelevant. Ganz zu schweigen vom Pagespeed beim Surfen, dem veralteten Redaktionssystem oder nur der Hauch einer Idee des digitalen Abonennten.
BLZ gibt es als Web-App, die ihren Namen wirklich verdient. Es fühlt sich an wie eine App aus den App-Stores von Apple und Google, ist sie aber nicht. Es lässt sich clappen, teilen, hören und noch nicht ganz bookmarken. Die Schriftgrösse lässt sich einfach anpassen und der Web-App Leser kann zwischen einem Long- und Shortread Modus umschalten. BLZ hat die eigene Technik ins Subscription Management eingebaut. Preislich liegt das Abo bei 9,99 Euro im Monat für alle Artikel in der Web-App; das E-Paper kostet 32,90 Euro im Monat.
Mit einem neuen Redaktionssystem und Server-Backend hat sich der Pagespeed deutlich verbessert. Hinzu wurde das Design modernisiert. Redaktionell ist der Fokus viel stärker auf Berlin gerichtet und gleichzeitig zeitgeistiger bei Themen wie Mode und Kultur. Es wurde das sogenannte Open Source eingeführt, bei dem jeder Artikel einreichen kann und vergütet wird.
Sehr gelungen finde ich die gedruckte Berliner Zeitung am Wochenende. Sie ist komplett neu gestaltet worden mit neuen Büchern wie „Was uns inspieriert“ oder „Was wir wollen,“ es ist ein Versuch die angestaubten Bücher wie Kultur oder Politik neues Leben zu geben. Insgesamt wirkt sie eher wie ein Magazin, was an der originellen Titelseitengestaltung liegt sowie an den Themen.
Es sind auch einige Dinge ausprobiert worden, die wieder eingestellt worden sind oder zumindest fragwürdig umgesetzt worden sind.
Die englischsprachige Seite in der BLZ am Wochenende sowie Digital ist eingestellt worden, was sehr schade ist. Wie sich Reichweite und Monetarisierung in englischsprachigen Ausgaben von Medien mit deutschen Eigentümern die Balance halten hat noch keiner geknackt.
Holger Friedrich hat den Negativpreis „Verschlossene Auster“ gewonnen weil er von Ex-Bild Chefredakteur Julian Reichelt Dokumente erhalten hat und sich gegen eine Veröffentlichung entschieden habe. Daraufhin hat er Springer über den Vorgang informiert; Springer ist im Rechtsstreit mit Reichelt.
Es gab ein großes Unverständnis der Verlagswelt gegenüber der Berliner Botschaft, eine Art Manifest, von Silke und Holger Friedrich. Bei mir ist dieser Satz hängengeblieben:
„Wir hoffen, mit unserem Erwerb des Berliner Verlags einen Beitrag bürgerlichen Engagements leisten zu können, einen Beitrag zur außerparlamentarischen Opposition in neuem Format, auch im Sinne bürgerlicher Selbstermächtigung“.
– Silke und Holger Friedrich
Es gibt auch diese Stimme aus der taz:
„Die Berliner Zeitung vermittelt einem eher das Gefühl, als stünde man in einem dystopischen Supermarkt, in dem man sich ständig am Kopf kratzen muss, weil das Sortiment durcheinander ist.“
– Rene Martens
Verlage kämpfen seit der Erfindung des Browsers um verpasste Chancen. Die BLZ war ein sinkendes Schiff mit DuMont an Bord. Nicht zu vergessen die BV Deutsche Zeitungsholding, ein Private Equity Versuch mit der BLZ; außer Excel-Sheets ist nichts innovatives am Produkt entwickelt worden.
BLZ lässt andere Meinungen zu, was eigentlich die Aufgabe einer vielfältigen, freien Presse ist. Muss eine Zeitung nur eine politische Strömung repräsentieren? Mit der Umarmung des Digitalen statt scheibchenweise zu verdrängen und nichts zu ändern, setzt sie sich von anderen Häusern ab und segelt in die östliche Zukunft mit schwarzen Zahlen.
Am Wochenende ist die BLZ erfrischend anders. Martin Sonneborn als Autor gefällt auch.
Auf der inhaltlichen Habenseite ist Sonneborn ein Gewinn. Und mit Open Source bietet die BLZ Autoren und Journalisten eine neue Sichtbarkeit.
Samstags ist die BLZ wirklich neu