Ich stand vor ein paar Wochen in einer Schlange am Eingang eines Wellenbads an der Nordsee und lernte einen 9-jährigen Eishockeyspieler namens Pascal aus Herne kennen. Er trainiert fünf Mal die Woche und hat sich vor dem Besuch des Bads nochmal die Zusammenfassung des größten Erfolgs des deutschen Eishockeys, die Silbermedaille von Olympia 2018, angeschaut. Pascal meinte, er werde den Adler bald selber auf der Brust tragen.
Diese Leidenschaft für den Sport, den Willen und die Überzeugung haben mich berührt und stolz gemacht, der Nachwuchs rollt an und es kommen mehr.
Leider ist das deutsche Eishockey in der Öffentlichkeit weiterhin kaum sichtbar, es fehlt eine gute Vermarktung dieser einzigartigen Sportkultur. Es macht mich traurig zu sehen, dass die großartige sportliche Leistung der Spieler und Trainer nicht die breite Würdigung erfahren, die sie aus meiner Sicht schon lange verdient haben.
Dennoch zuerst das Positive und Sportliche:
- Gewinner vom Deutschland Cup in 2021
- Leon Draisaitl hat alles an Auszeichnungen abgeräumt was ein Einzelspieler in der NHL abräumen kann und führt aktuell die Scorerliste der besten Liga der Welt
- Moritz Seider ist Rookie des Monats Oktober der NHL und hat sein erstes Tor als Verteidiger geschossen
- DEB-Auswahl ist 5. der Weltrangliste, beste Platzierung einer Herrenmannschaft in Deutschland
- WM Halbfinale 2021
- Olympia Silber in 2018, größter Erfolg in der Geschichte
- U20 WM, größter Erfolg der Geschichte, geführt von Tim Stützle, der in der NHL seine Marke setzt
Die Liste lässt sich locker weiter führen. Spieler wie Bergmann, Noebels oder Pföderl, Leistungsträger aus der hauseigenen DEL spielen auf hohem internationalem Niveau. Oder Rieder der Fighter, aktuell ohne NHL Vertrag, überzeugt kämpferisch und mit Scorerpunkten beim Deutschland Cup. Söderholm als DEB-Coach macht alles richtig, er hat der Nationalmannschaft unter anderem einen neuen Glauben geschenkt, die Mannschaft hat das Selbstbewusstsein Jeden schlagen zu können. Nicht zu vergessen ist Marco Sturm, der Xaver Unsinns Hut in den Umlauf gebracht hat und die Veränderung angestoßen hat.
Beim diesjährigen Deutschland Cup, vom 11. bis 14. November, das einzige Event im Jahr bei dem die DEB-Auswahl ein Präsentationsfenster in Deutschland hat, ist dieses Gefühl wieder da: Und täglich grüßt das Murmeltier.
Es pilgern nur ein paar Tausend Zuschauer ins Stadion nach Krefeld, die Halle ist nicht mal ein Viertel gefüllt.
Die sportliche Leistung ist top, Siege gegen Russland, Schweiz und Slowakei, das Team ist abgeklärt, effizient und taktisch brillant mit einer B-Auswahl, einem Perspektivkader.
Es wird Zeit, dass sich andere Menschen um die Sichtbarkeit des schnellsten Mannschaftssport der Welt kümmern. Auch wenn die Sport1-Werbekunden einen Ticken besser werden (es gibt keine C-Partnerbörsen mehr zu sehen), gibt es dafür leider handwerkliche Fehler wie beim Spiel gegen Russland, es ist zu spät live dazu geschaltet worden, die deutsche Hymne war schon fast zu Ende. Entweder war die Werbung wichtiger oder der Production Manager hat mit seiner Maus zu spät geklickt.
Keine Frage, Rick Goldmann oder Tobi Schwele (Stichwort: „Noebels nimm das mit“ siehe Twitter-Video unten) machen einen super Job, berichten mit Kompetenz und Leidenschaft, schon immer. Es hilft, dass sie ehemalige Spieler sind und verstehen aus welcher Wahrnehmungswüste der Sport hierzulande kommt.
Umso erstaunlicher ist es, dass das Spiel gegen die Schweiz nur auf Magenta Sport statt im Free-TV auf Sport1 zu sehen war. Hier muss der geübte Nutzer sich zuerst bei Magenta anmelden, um dann womöglich unbewusst in Telekomverträge rein zu rutschen. Die Quoten bei der WM 2021 waren beim Halbfinale mit einem Marktanteil von 6,5% überragend: Macht es dem Zuschauer doch einfacher!
Zu fast guter Letzt der Fall des DEB-Präsidenten Franz Reindl:
Es geht konkret um eine verdeckte Finanzierung seiner ehrenamtlichen Funktion. Eine DEB-Tochter und die Infront, eine Vermarktungsagentur mit Sitz in Zug in der Schweiz, haben kooperiert. Hier geht es vor allem um die Heim-WM 2017. Thomas De Maizière, Chef der DOSB-Ethikkommission, sagte in der FAZ, sollte eine verdeckte Finanzierung vorliegen, wäre das nicht in Ordnung, mal schauen. Irgendwie klingelt es da bei mir, Beckenbauer, Heim-WM 2006.
Kann es sein, dass der DEB einfach zu nah am Hauptquartier von Wirecard ist? Vielleicht ist der Standort weniger geeignet für den DEB? Aus Sicht der DEL? Es gab schon einige DEL-Vereine in München, die wieder verschwunden sind (Stichwort Barons). Sind nicht Mannheim, Köln oder Berlin besser geeignet als stabilere und größere Eishockey Standorte? Und wo ist die Offenheit für „Hockey is Diversity“ beim DEB? Wo ist die Offenheit für neue Eishockey Begeisterte in Deutschland?
Und dann ist da noch das Thema Merchandise. Die Trikots des DEB für den Deutschland Cup sind so mittel. Klar, das Geld der Werbepartner ist nötig, aber muss es denn so offensichtlich auf der Brust und Schulter oder auf den Schonern des Torwarts sein? Die Herausforderung hat meines Erachtens auch die DEL, die Trikots der Clubs sind wandelnde Litfaßsäulen. Der ganze DEB-Fanshop kann eine Frischzellenkur gebrauchen. Ganz abgesehen von der Kommunikation. Tweets des DEB während der Spiele beim Deutschland Cup, dass es noch Tickets zu kaufen gibt, wirken verzweifelt. Der Verband hat den Erfolg von Olympia 2018 in der Öffentlichkeit meines Erachtens liegen gelassen, das zarte Pflänzchen von der Heim WM 2010 damals auch schon.
Ja, es ist einiges passiert in den letzten Jahren und Öffentlichkeit lässt sich auch nicht erzwingen. Ja, die Strategie von Powerplay 2026 trägt erste Früchte. Die Nationalmannschaft spielt jetzt schon bei Medaillen mit und neue journalistische Produkte wie Dump & Chase beleben die Medien mit hochwertigen Inhalten, es geht voran.
Wir dürfen den 9-jährigen aus Herne vor dem Wellenbad, dem 20-jährigen aus Viersen in Ottawa und dem 29-jährigen aus Moers in Berlin und alle Leistungsträger auf dem Eis nicht weiter so hängen lassen. Wir brauchen mehr Leistungsträger abseits vom Eis.